Donnerstag, 13. August 2015

Gedanken im Wartezimmer

Heute musste ich mal wieder zu "meinem" Kardiologen. Pünktlich um ¾10, wie vereinbart, stand ich "auf der Matte". Im Wartezimmer war "full house". Ich ließ meinen Blick schweifen. Aha, überwiegend ältere Menschen — wie ich. Ein Ehepaar kam herein, nahm auf den letzten beiden freien Stühlen Platz — und schwieg sich an. Neben mir saß ein Herr in einer türkisfarbenen Jogging-Hose, die wohl lange keine Waschmaschine von innen gesehen hatte und die mit einem breiten Gummiband am Herunterrutschen gehindert wurde. Der Mann schlurfte zu einer Kaffeemaschine, die auf einem Tisch in der Ecke den Wartenden zur Verfügung stand. Er ließ sich, da er seine Brille vergessen hatte, von einem anderen Patienten die Funktionsweise der Höllenmaschine erklären; besser gesagt, er ließ sich von ihm den Kaffee, in Ermangelung der nötigen Sehschärfe, zubereiten.

Ich betrachtete mir den vermeintlichen Holzfußboden, der ganz passabel aussah und sich als Palisander ausgab, was er allerdings nicht war. Ich erkannte an der sich ständig wiederholenden Maserung und den immer gleichen "Astlöchern", dass es sich um bedrucktes Holz, nämlich Laminat, handelte. Nach einer Stunde, das sich anschweigende ältere Ehepaar hatte tatsächlich ein paar Worte gewechselt, harrte ich immer noch der Dinge, die da kommen sollten. Die Wartenden waren inzwischen alle schon einmal aufgerufen worden, kehrten aber, nach kurzer Zeit, fast alle wieder zurück. Auch neue Patienten betraten den Warteraum. Endlich mal eine Abwechslung, denn die anderen Gesichter kannte ich ja alle schon.

Langsam begann ich zu ermüden. Mein Kopf neigte sich, der Müdigkeit wegen, nach vorn. Da war er wieder, der "Hochstapler-Fußboden". Ob ich mir einen Kaffee hole? Eine Stimme, die meinen Namen rief, riss mich, nach 65 Minuten Wartezeit, aus der Beinahe-Schlafphase.

Frohgemut stapfte ich hinter der Sprechstundenhilfe her, die mich in einen Raum verwies, den ich schon kannte. Ultraschall war wieder mal angesagt. Nach 10 Minuten war ich damit durch und wurde einen langen Gang entlang geleitet. Ein paar Stühle standen vor diversen verschlossenen Türen. Auf einem der Sitzmöbel nahm ich Platz und — wartete wieder mal. Ein paar kitschige Bilder zierten die Wände. In einer gläsernen Vase standen ein paar dünne Bambusstäbe und ein oszillierender Standventilator fächelte uns etwas abgestandene Luft zu. Hinter den Türen hörte ich Wortwechsel, die wohl aus Zwiegesprächen zwischen Arzt und Patient bestanden. Ich hörte auch ein vertrautes Schlurfen sich nähern. Aha, die türkisfarbene Jogginghose näherte sich! Er, der solcherart Behoste, nahm neben mir Platz. Ich dachte noch – bitte keine Krankengeschichten – da ging's auch schon los. 20 Minuten später — links von mir öffnete sich eine Tür und ich hörte meinen Namen, gerufen von "meinem" Doktor. Dann ging alles sehr schnell. "Wie geht's, wie steht's, helfen die Tabletten? Ihre Thrombose ist ja schon weniger auffällig geworden. Ich verschreibe Ihnen noch einmal die gleichen und im November sehen wir uns dann wieder."

Zufrieden verließ ich die Praxis. Draußen empfingen mich ein strahlend blauer Himmel und eine wärmende Sonne. Der Tag kann, ohne gelangweilte Patientengesichter, schmutzige Jogginghosen und dem Pseudo-Palisanderfußboden, so schön sein. Beim nächsten Besuch nehme ich mir etwas zu Lesen mit. Das habe ich mir fest vorgenommen.

Euer

Der Stellinger

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